Weiss ich mein ganzes Leben nicht genau, wer ich bin? Und spielt das überhaupt irgendeine Rolle, um glücklich zu sein?

Menschen gehen oftmals davon aus, dass ich binär trans* bin, weil ihnen keine andere Möglichkeit in den Sinn kommt. Einige Jahre nach meinem Outing als trans* Mann, hatte ich die Akzeptanz in meinem Umfeld erreicht, die ich wollte, oder es war mir auch teilweise egal, wenn ich sie nicht hatte. Auch die medizinischen Schritte, die ich gegangen bin, haben mir sehr geholfen. Ich habe sie nie bereut. Jedoch habe ich immer wieder am Ausmass meiner Männlichkeit gezweifelt. Das meine ich nicht in einem negativen Sinne, sondern ich habe mich je länger, je mehr gefragt, ob ich mich so binär präsentiere, weil es einfacher für den Umgang meiner Mitmenschen ist, oder ob ich aus mir heraus das wirklich so möchte. 

Bald hatte ich dann die Erkenntnis: Es ist wegen den anderen. Es ist unglaublich anstrengend, die Gesamtgesellschaft nur durch die eigene Anwesenheit so aus der Fassung zu bringen. Die Blicke, Fragen und Verwirrtheit der Menschen muss ich aushalten können. Und sie sind noch viel extremer, wenn ich als männlich gelesene Person feminin herumlaufe, als es zuvor war, als ich noch entweder als Mädchen, butch Lesbe oder als männlich gelesen wurde. Ich weiss nicht genau, ob mein Punkt hier logisch rüberkommt. Aber wenn ich sehr genderqueer durch die Welt gehe und somit visuell die Binarität der Welt vor meinen Mitmenschen infrage stelle, dann nehmen das viele Menschen nicht kommentarlos an. Ich bekomme sehr viele Blicke und unangenehme Reaktionen. 

Lohnt sich das? 

An vielen Orten frage ich mich deshalb, wie viel ist mir der Aufwand wert? Als Beispiel nehme ich die Uni. Dort sind viele Menschen, die ich so einschätzen würde, dass sie mich grundsätzlich akzeptieren oder jedenfalls nichts aktiv dagegen hätten, wenn ich mitteilen würde, dass ich genderqueer bin. Aber trotzdem muss ich immer wieder Fragen zu Pronomen, Name oder auch schon nur meiner Kleidung beantworten. Und all das kostet mich Energie. Energie, die ich vielleicht auch für mein sonstiges Leben brauchen könnte. Nur schon die Überlegung, wo es schlau ist sich genderqueer zu präsentieren und wo nicht, ist anstrengend. Ich muss dabei auch erwähnen, dass ich auch hier noch sehr privilegiert bin, denn ich habe die Möglichkeit, meine transness, meine genderqueerness zu verschweigen und als «cis Mann» gelesener Mensch durch die Welt zu spazieren. Gerade auf Arbeitssuche etc. ist dies von grossem Vorteil. 

Ich, als eigene Kategorie 

Und trotzdem nervt es mich enorm, wenn ich das Gefühl habe, der Mensch mir gegenüber, hat sich gerade ein Bild von mir gemacht, wie ich bin und zu sein habe, nur weil mich dieser Mensch einmal angeschaut hat. Ich hasse diese Blicke, wenn mein Gegenüber das Gefühl hat, mensch wisse, wer oder was ich bin. Gerne wäre ich ein weisses Blatt in den Köpfen der anderen, das nach und nach von unseren gemeinsamen Interaktionen beschrieben und bemalt wird. Doch in Realität ist das Blatt nach dem ersten Blick bereits bemalt. Jedenfalls die äusseren Linien des Mandalas wurden gezeichnet und ich kann lediglich durch Interaktionen beeinflussen, in welchen Farben das Mandala nun noch angefärbt wird. Sie haben ein Muster von mir im Kopf, obwohl sie mich nicht kennen. Und das ist scheisse. Denn was ist, wenn ich ein ganz anderes Mandala bin, als mein Gegenüber gerade denkt? Oder was, wenn ich nicht einmal ein Mandala bin, sondern vielleicht eher eine Landschaft? Das alles kann ich leider nicht beeinflussen und das macht das Thema rund ums Geschlecht auch so schwierig. Es hängt immer mit der Aussenwahrnehmung anderer zusammen und lässt sich gar nicht von mir selbst trennen. Es ist sehr schwierig mir zu überlegen, welcher Teil meiner genderqueerness ich wegen mir mache und was nur wegen den Menschen um mich herum? Ich hätte gerne, dass mir die Blicke und Meinungen anderer noch egaler wären. Aber sie sind es nicht. Vielleicht noch nicht. 

Und jetzt? 

Als Konklusion lässt sich sagen, ich mag die Freiheit, dass ich mich «männlich» kleiden kann und dann als cis Mann gelesen werde, denn dadurch laufe ich wenig Gefahr, direkter Diskriminierung ausgesetzt zu sein, oder gewaltvoll angegriffen zu werden. Mich macht es andererseits aber sehr glücklich, wenn ich mit dem Geschlecht spielen kann, oftmals auf Kleidung oder auch Pronomen bezogen. Ich mag es, wenn meine pure Existenz bei anderen Menschen Zweifel an der Weltordnung auslöst. Das macht irgendwie Spass, jedenfalls wenn ich in diesem Moment die Energie dazu habe. Deswegen habe ich als cis-passing trans* Mensch, der als Mann gelesen wird, grosse Freiheiten. Ich kann sehr direkt mitbestimmen, wie mich Menschen wahrnehmen und ob ich an diesem Tag die Energie aufbringen kann, die Blicke und Fragen auszuhalten. Und wenn ich die Energie nicht habe, dann bin ich sehr unauffällig. Natürlich wünsche ich mir eine Welt, in der ich mich nicht fragen müsste, ob ich es an diesem Tag aushalte, ich selbst zu sein und ich hoffe sehr, dass unsere Gesellschaft an diesen Punkt kommt. Aber jetzt in diesem Moment sind wir noch nicht dort. Ich muss deswegen für mich schauen, wie ich am energiesparendsten, aber auch glücklichsten, durch mein Leben gehen kann. Meistens gelingt mir diese Balance ganz gut. Selbst wenn von beiden Seiten am Seil geruckelt wird. Die Frage ist nicht, wie viele Menschen mich aus dem Gleichgewicht bringen wollen, die Frage ist, wie standfest ich auf dem Seil bin.

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