Verzeihen ist etwas, das mensch, wenn überhaupt, widerwillig tut. Und besonders wenn etwas passiert, was wir als „schlimm“ empfinden, lernen wir früh, möglichst lange wütend zu sein. Oft sehen wir, wie Personen, zu denen wir hochschauen, jahrelang Groll hegen, statt sich zu versöhnen. Gegen aussen müssen wir die „Beschuldigten“ dann hassen, während wir uns innerlich oft selbst hinterfragen. Wie konnte es so weit kommen? Wie konnte jemensch mir das antun? Habe ich etwas falsch gemacht? Für manche Dinge beginnen wir uns dann selbst die Schuld zu geben. Und so lässt uns die Gedankenspirale nicht mehr los.

Wer später verzeiht, ist früher tot

In wissenschaftlichen Studien kann ein zuverlässiger Gesamtzusammenhang zwischen Verzeihen und Gesundheit nachgewiesen werden. So hat Verzeihen nicht nur einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit, sondern sogar auf die körperliche. Wer also verzeihen kann, lebt nicht nur besser, sondern auch länger. Dies macht eigentlich Sinn. Denn, solange wir nicht verziehen haben, denken wir immer wieder an das Geschehene zurück. Wir hinterfragen nicht nur die anderen, sondern besonders uns selbst. Wir suchen nach Dingen, die wir besser hätten machen sollen. Wir geben uns das Gefühl, das Passierte verdient zu haben. Besonders, wenn etwas für uns überraschend kam, landen wir oft in einem gedanklichen Teufelskreis, der uns immer wieder selbst verantwortlich zu machen versucht. Und genau so, wie positive Gedanken einen grossen Teil zu unserem Wohlbefinden beitragen, tun dies negative auch zu unserem Unwohlsein.

Verzeihen, nicht verschreien

Wenn ernst gemeint, gibt es keine falsche Art zu verzeihen. Verzeihen kann oft bedeuten, etwas eine neue Chance zu geben. Manchmal kann es aber auch heissen, sich nie wieder mit etwas zu beschäftigen. Es kann bedeuten, sein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen. Oder exakt so weiterzufahren wie zuvor. Es kann Wochen dauern, oder auch nur ein paar Sekunden. Es gibt kein richtig oder falsch. Es gibt nur ein “passt für mich” oder “passt nicht für mich”.

Verzeihen muss nicht einmal etwas Lautes sein. Verzeihen kann mensch auch still für sich. Je nach Umständen kann dies manchmal die bessere Option sein. Denn, wer solche Dinge rumposaunt, macht sich nicht zu einem besseren Menschen. Im Gegenteil. Wer nur für andere „verzeiht“, tut es nicht für sich. Und wer es nicht für sich tut, schliesst nicht ab. Verzeihen heisst, Wunden zu nähen, ohne zu vergessen, dass Narben zurückbleiben werden. Verzeihen heisst nichts anderes, als die Vergangenheit zu akzeptieren, so wie sie ist. Anzunehmen, dass etwas geschehen ist. Seinem Körper und seiner Psyche bewusst zu machen, dass Dinge nicht ungeschehen gemacht werden können. Verzeihen heisst loslassen. Loslassen von all den negativen Gedanken und Emotionen, die uns immer wieder zurück in die Vergangenheit holen. Denn wir können allem und allen entfliehen, ausser unseren Gedanken.

Rache ist nicht nachhaltig

Verzeihen bedeutet nicht, auf Gerechtigkeit zu verzichten, sondern lediglich, zu akzeptieren, dass Rache niemenschem Gerechtigkeit bringen kann. Verzeihen heisst, sich bewusst zu machen, dass anderen Misere zuzufügen keine Lösung ist. Denn auch wenn Rache vielleicht kurzfristig Befriedigung bringen kann, so plagen uns danach langfristig oft selbst Schuldgefühle. Abzuschliessen und unsere Konsequenzen daraus zu ziehen, ist oft der nachhaltigere Weg. Und mit jemenschem oder etwas abzuschliessen, bedeutet (leider) den Groll ablegen zu müssen. Den Groll, allem gegenüber, was sich sowieso nicht mehr ungeschehen machen lässt. Verzeihen bedeutet nichts anderes als genau diesen Groll abzulegen.

Verzeihen ist Selbstbestimmung

Verzeihen heisst, sich viel mit sich selbst zu befassen. Sich um sein eigenes Wohlbefinden zu kümmern.

Verzeihen heisst, seine Grenzen zu entdecken und sich Gedanken zu machen, wo diese verletzt wurden. Es heisst aber auch, weniger “Fucks” zu geben. Nicht die Verantwortung für die Verfehlungen anderer zu übernehmen. Verzeihen heisst, sich selbst wertzuschätzen. Verzeihen ist schwer und verzeihen tut weh. Zu verzeihen heisst aber auch, sich auf den Weg zu begeben, die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. In dem mensch seine Kämpfe weise wählt. Und für diese, aber nur für diese, dann auch die volle Verantwortung übernimmt. Mensch muss lernen, dass mensch nicht für die Kämpfe anderer verantwortlich sein kann.

Verzeihen, ist sogar eine Art „Waffe“ der “Schwächeren”. Denn Verzeihung kann nicht erzwungen werden. Echte Verzeihung kann mensch nur “geschenkt” bekommen, egal wie viel Druck mensch ausüben mag. Verzeihung ist absolut wertlos, wenn sie nicht von innen, von Herzen kommt. Dafür ist sie immer dann umso mächtiger. Die Möglichkeiten jemenschem zu verzeihen oder nicht zu verzeihen bedeutet, Kontrolle über die Situation zu haben. Eine Kontrolle, die dem_der “Schwächeren” vielleicht vorher weggenommen wurde. Zu Verzeihen ist ein Akt der Selbstbestimmung nach einem fremdbestimmten Erlebnis.

Du bist nicht schuld

Verzeihen bedeutet, überlegt zu reagieren. Verzeihen heisst, sich nicht auf das Niveau der anderen herabzulassen. Verzeihen sollte in jedem Fall bedeuten, sich selbst zu schützen. Es ist ein Prozess, der einem viel Zeit mit sich selbst geben sollte. Dazu muss mensch erst einmal lernen, dass „Verantwortung übernehmen“ und „schuld sein“ zwei verschiedene Dinge sind. Wir müssen lernen die Verantwortung für unser Leben zu übernehmen, ohne uns an allem die Schuld zu geben. Denn, wenn es etwas gibt, was wir noch schlechter gelernt haben, als anderen zu verzeihen, ist es, uns selbst zu verzeihen. Und solange wir uns selbst nicht verziehen haben, fällt es uns umso schwerer, anderen zu verzeihen. So saugen uns alle unverziehenen Ereignisse weiterhin tagtäglich Lebensenergie. Wir müssen verstehen, dass Groll uns am Loslassen hindert. Und wir müssen immer wieder versuchen loszulassen. Lernen zu verzeihen, besonders sich selbst, ist ein langer und oft schmerzvoller Weg. Doch auch ein extrem befriedigender, in den es wert ist, Zeit zu investieren, denn er gibt uns nicht nur Kontrolle und Lebensfreude, sondern sogar Gesundheit.

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