Queere Publikationen scheinen etwas Neues zu sein. Stimmt dieser Eindruck?
Als queere Person ist es schwierig, sich in der Geschichte wiederzufinden. Schnell entsteht der Eindruck, dass queere Personen ein Phänomen der Neuzeit sind. Berichte queerer Existenzen sind häufig schwer zu finden, viele gingen verloren oder waren nicht eindeutig, da das Risiko eines Outings zu gross war und mit zu vielen Gefahren einherging. Wenn mensch doch eine schriftliche Überlieferung findet, wurde diese oft nicht von Queers für Queers geschrieben.
Eine bunte Ausnahme bildet dabei die Weimarer Republik (erste Republik in Deutschland von 1918 bis 1933). Zu dieser Zeit existierte eine vielfältige queere Printmedienlandschaft. So gab es beispielsweise «Die Freundschaft» oder «Der Eigene» für homosexuelle Männer, «Das 3. Geschlecht» für Transvestit*innen (heute trans Menschen und Crossdresser*innen) und «Die Freundin» für Lesben. Letztere erschien vor genau hundert Jahren zum ersten Mal. Sie warb mit halbnackten Frauen und Titeln wie «Aus Liebe zur Freundin den Mann erschlagen» (Die Freundin, 1928, Ausgabe 7). Der Inhalt war sehr divers. Es gab unter anderem mehrteilige Romantexte, Liebesgedichte und Inserate mit den nächsten Events.
Das politische und gesellschaftliche Klima der Weimarer Republik war zwar offener als zuvor im Kaiserreich, jedoch von starkem Wandel geprägt. Dies hatte Auswirkungen auf «Die Freundin». Zum Beispiel änderten sich die Zensurrichtlinien immer wieder. Dennoch war es möglich, die Zeitschrift bis zur Machtübernahme der Nazis 1933 in regelmässigem Abstand zu publizieren. Oft änderte sich durch die Zensur jedoch die Verfügbarkeit der Zeitschrift. Beispielsweise lag sie bei den Verkaufenden nicht mehr in der Auslage und konnte erst auf Nachfrage erworben werden. Der Inhalt blieb nicht unpolitisch, im Gegenteil, oft wurde rege diskutiert. Etwa über die mögliche Einführung einer Steuer für Frauen, welche kurze Haare hatten, oder über ein angehendes Gerichtsverfahren gegen einen Transvestiten. Obwohl «Die Freundin» primär eine Zeitschrift für und von homosexuellen Frauen war, führte sie regelmässig einen Abschnitt für Transvestit*innen. Später entstand aus diesem Abschnitt eine eigenständige Zeitschrift für Transvestit*innen namens «Das 3. Geschlecht», sie erschien jedoch sehr unregelmässig. In den von Transvestit*innen gestalteten Seiten wurde viel darüber diskutiert, wie Transvestitismus eigentlich genau definiert werden kann. Die Label «Transvestit» respektive «Transvestitin» beinhalteten sowohl Crossdresser*innen als auch trans Personen. Durch die verschiedenen Bedürfnisse und Selbstverständnisse dieser zwei Gruppen waren die Debatten emotional sehr aufgeladen. Zudem wurden selbst scheinbar banale Themen wie die Mithilfe im Haushalt zu Streitthemen.
Aufgrund der Geschlechterrollen jener Zeit wurde angenommen, dass jede Person, welche Hausarbeit leistete, zwingend eine Frau sein musste. Die Frage, ob nun auch Transvestiten Hausarbeit leisten sollten, wurde lebhaft diskutiert: Trans Personen sprachen sich dafür aus, während Crossdresser darin eine Verletzung ihrer Männlichkeit sahen. Sie stellten sich entschlossen dagegen. Die Debatten und der Austausch trugen zur Bildung einer distinkten queeren Subkultur bei, Teile derer uns bis heute erhalten geblieben sind. Wer Lust hat, die Exemplare von «Die Freundin» durchzustöbern, findet Scans davon hier: https://archiv.forummuenchen.org/zeitschrift/die-freundin/