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Wie leben verschiedene Generationen ihr Lesbisch-Sein oder ihre Queerness? Und wie setzen wir diese Erfahrungen aktivistisch um? Darüber hat sich Alessandra (A) mit Joh (J) und Janice (JA) von der Milchjugend und Barbara (B) und Madeleine (M) von der LOS unterhalten.
A: Wie lange lebt ihr schon lesbisch oder queer? Und wie ging es euch dabei?
M: 45 Jahre, also mehr als zwei Drittel meiner Lebenszeit.
J: Ich finde die Frage noch lustig. Ich habe das Gefühl, ich bin schon mein ganzes Leben lang lesbisch. Ich fand es früher immer komisch zu verstehen, wenn die Leute von ihren Crushes auf Jungs erzählt haben in der Schule. Ich habe mir dann immer irgendeinen Jungen ausgewählt, der nicht so viel sagt und relativ wenig hergibt…
B: Bei mir war es eine wechselhafte Geschichte, weil ich mich lange nicht getraut habe, mich zu outen. In der dritten Klasse fand ich es total cool, als wir Mädchen uns auf dem Heimweg von der Schule geküsst haben. Ich habe mich immer wieder insgeheim in Frauen verliebt. Meistens in Heti-Frauen, damit es nicht gefährlich wird – das war anscheinend meine Strategie. Ich war über 20 Jahre mit einem Mann verheiratet und habe eine Tochter. Mit 46 habe ich beschlossen, zu mir zu stehen und mich zu outen.
JA: Dieses Jahr lebe ich seit meinem halben Leben öffentlich queer: Ich habe mich mit 14 schon geoutet. Ich bin fast ein wenig «reingerutscht»: Ein schwuler Oberstift in der Lehre hat mir «Purplemoon» [eine queere Dating-Plattform] gezeigt. Ich fand das cool und habe mich ausprobiert. Und dann habe ich gemerkt: Das ist nicht nur ein Ausprobieren, ich stehe tatsächlich auf Frauen! Jetzt würde ich mich als pan bezeichnen: mir ist es relativ egal, was mein Gegenüber für ein Geschlecht hat, oder was für Geschlechtsteile oder wie sich die Person identifiziert.
M: In meiner Generation ist ein grosser Unterschied, in welchem Bewusstsein wir die Pubertät verbracht haben. Ich habe mich damals in Jungen verliebt und zwei Beziehungen mit ihnen gelebt. Dann habe ich mich Anfang 20 in eine Frau verliebt und da war mir relativ schnell klar, dass ich lesbisch bin. Aber die Freundinnen von mir, die sich schon in der Pubertät in Mädchen verliebt haben, die waren in meiner Generation sehr allein, versteckt und haben gelitten. Ich hoffe, das ist heutzutage nicht mehr so.
A: Was bedeutet für euch Aktivismus?
JA: Gemeinschaft. Ich bin viel zu spät in die Milchjugend und in die Community gekommen. Ich bin zwar schon seit 14 Jahren out, aber ich habe mich bis vor 1-2 Jahren sehr selten in queeren Spaces aufgehalten. Jetzt merke ich, wie viel mir das gibt.
J: Das Wort tönt schwer, aber Aktivismus ist auch eine berlebensstrategie für mich und ein Weg, mich in dieser schlimmen, gewaltvollen Welt zu bewegen. Eine Bewegung zu sein, heisst für mich auch, sich immer wieder kritisch zu reflektieren, zusammenzukommen, den eigenen Standpunkt auch mal zu verändern, immer in Bewegung zu bleiben. Und es bedeutet für mich einfach mein Leben. Ohne Bewegung, ohne Aktivismus, ohne Community wäre es einfach sehr viel trister und viel schlimmer. JA: Das kann ich absolut unterschreiben – meine psychische Gesundheit profitiert unglaublich vom Aktivismus. Ich gehe gestärkt von jensten Events wieder nach Hause – darum fahre ich auch mal 3h Auto für ein Gespräch wie dieses.
M: Aktivismus als psychische Stärkung… Das habe ich mir noch nie so überlegt, aber das finde ich auch! Ich bin ja jetzt schon älter und könnte auch einfach mit meinen Freundinnen spazieren gehen. Aber ich will auch Teil der Welt sein und es ist schön, auf interessante Menschen oder Veranstaltungen zu treffen. Und solange ich noch kann, möchte ich das mitgestalten.
B: Ihr habt mir gerade sehr aus dem Herzen gesprochen. Vielleicht noch ein anderes wichtiges Wort: Ich fühle mich Daheim im Aktivismus und in der Bewegung. Ich habe ein grosses soziales Netz, auch ausserhalb der Community, aber in ihr fühle ich mich Zuhause.
A: Was meint ihr, haben wir denn nun ein Generationenproblem?
M: Also ein sprachliches haben wir schon! Manchmal lese ich einen Begriff im LOS-Info oder im Newsletter. Und dann denke ich: Was meinen sie jetzt? Ich möchte gerne die Kommunikation der LOS nach aussen verstehen.
JA: Ich würde das nicht mal nur als Generationenproblem abstempeln. Ich habe sehr bewusst kein Instagram, und so vieles läuft über Instagram und ich muss manchmal auch nachfragen bei bestimmten Begriffen.
B: Also als ältere Frau komme ich manchmal nicht mehr so mit mit den sexuellen Gepflogenheiten der Jungen. Aber eigentlich war ich auch mal jung und hatte Verschiedenes ausprobiert – ich glaube, da muss ich mich einfach mehr zurückversetzen in meine Jugend.
J: Ich glaube nicht, dass wir ein Generationenproblem haben. Ich glaube, es ist mehr eine Haltungsfrage und die ist unabhängig vom Alter. Wenn unterschiedliche Leute in unserer Community zusammentreffen, würde ich mir von allen wünschen, dass wir Ambivalenzen aushalten können und dass wir uns mit Neugier und Offenheit begegnen. Wenn wir uns uneinig sind, wird das oft direkt als Problem gesehen. Aber vielleicht ist es gar kein Problem, wir wissen nur zu wenig voneinander!
M: Ja, für mich ist eher die Frage: Wo begegnen wir uns in diesem Austausch? Ich schaue zum Beispiel immer, wann die Tanzleila ist, aber dann denke ich: «Nein, um 23 Uhr noch dahin?» Aber bei anderen Sachen schliessen wir die Jungen auch aus, über das Thema oder den Ort. Ich überlege mir, wo wir etwas zusammen machen können, über den Lesbenspaziergang gelingt es manchmal…
A: Und genauso beenden wir das Gespräch dann auch: Wir diskutieren, wo wir diesen Austausch weiterführen könnten, ganz ohne Generationen-Gap! Der Schluss von diesem Interview ist also eher ein Anfang: Wir möchten diesen Dialog innerhalb der LOS weiterführen, aber auch nicht nur zu fünft. Hast
du Interesse, dich einzubringen? Dann melde dich bei der LOS oder bei der Milchjugend unter: info@los.ch oder info@milchjugend.ch