Kunterbunt natürlich!
Die erste queere Zeitschrift der Deutschschweiz hiess «Schweizerisches Freundschaftsbanner». Die Gründer*innen orientierten sich stark an der «Garçonne», einer deutschen Zeitschrift, welche sich an homosexuelle Frauen richtete. Das Schweizerische Freundschaftsbanner entstand primär aus lesbischen Kreisen. Publiziert wurden mehrteilige Texte, Gedichte, wie auch kämpferische Texte. Auch Gedichte von Goethe sind zu finden, was vermuten lässt, dass die Leserschaft gut gebildet war. Erste Ausgaben erschienen im Jahre 1932 unter dem Namen «Das Freundschaftsbanner». Im Laufe des ersten Jahres wurde die Zeitung jedoch praktisch vollständig von Männern übernommen und als die Schwulenbewegung in eine Krise geriet schliesslich eingestellt. Somit hatte die erste queere Zeitschrift der Schweiz eine sehr kurze Publikationszeit, gerade mal 15 Ausgaben. Die Männer wurden daraufhin vom lesbischen Damenklub «Amicitia» aufgenommen und es wurde der «Schweizerische Freundschafts-Verband» gegründet. Bei dessen Gründungsversammlung wurde entschieden, dass das Freundschaftsbanner (nun unter dem Namen «Schweizerisches Freundschaftsbanner») als Teil des Vereins wieder aufgenommen werden sollte. Von da an erhielten alle Mitglieder des Verbandes automatisch ein Abonnement der Zeitschrift. Dies ist heute beim Milchbüechli und den Mitgliedern der Milchjugend genauso! Die auferstandene Zeitschrift orientierte sich von nun an auch wieder vermehrt am Anfang des Freundschaftsbanners und reintegrierte Frauen. Zudem warb sie damit, «die einzige homoerotische Zeitschrift [zu sein], die noch in deutscher Sprache erscheint» (Schweizerisches Freundschaftsbanner, Nummer 21/ 1935). In Deutschland war es durch die Machtergreifung der Nazis unmöglich geworden queere Zeitschriften zu drucken und Österreich hatte schlicht keine. In der erneut ersten Ausgabe (also der ersten Ausgabe unter neuem Namen) gab die Redaktion auch ihre Ziele bekannt. Ein Fokus wurde dabei auf die Aufklärung von Aussenstehenden gelegt. Mensch wollte den Leuten beibringen, dass Queersein nicht pervers ist. Aktivismus war von Anfang an dabei.
Von Start an gab es jedoch auch Hetze von aussen. In der Schweiz waren sexuelle Beziehungen zwischen Männern schliesslich immer noch verboten. Hier gab es im Gegensatz zu Deutschland zwar keine grosse faschistische Partei, jedoch fanden sich auch hier Organisationen und Publikationen, welche das Gedankengut der Nazis teilten. So wird es niemenschen überraschen, dass diese von einer queeren Zeitschrift nicht sonderlich erfreut waren. Zwei solcher Publikationen waren «Guggu» und «Scheinwerfer». Gemeinsam führten sie eine Hetzkampagne gegen das Schweizerische Freundschaftsbanner. Dabei gingen sie so weit, dass vollständige Namen und Adressen publiziert wurden (gewisse Exponenten der SVP zeigen dieses Verhalten heute noch, wahrhaftig im letzten Jahrhundert stecken geblieben). Doch die Chefredakteurin Anna Vock liess sich nicht unterkriegen und klagte den Scheinwerfer an. Ihre Adresse war zuvor publiziert worden, was einem Outing gleichkam. Als Folge verlor sie mehrmals ihre Arbeit. Das Gerichtsverfahren endete in einem Vergleich (das ist ein Vertrag, welcher den gefundenen Kompromiss festhält): Mensch müsse die Pressefehde beenden und der Scheinwerfer sollte die Gerichtskosten tragen.
Für den Schweizerischen Freundschafts-Verband waren die Folgen der Hetzkampagne trotz Vergleich verheerend. Viele Mitglieder traten aus, viele hatten Angst. Mensch beschloss sich noch einmal umzubenennen, denn das Wort «Freundschaft» wurde von der Homosexuellenbewegung oft als diskreter Ausdruck für queer sein verwendet. Mit häufiger Nutzung verlor der Begriff jedoch seine Diskretion und wurde zu einer einfachen Zielscheibe für Gegner*innen. Das Schweizerische Freundschaftsbanner wurde nun, in Anlehnung an den ehemaligen deutschen homosexuellen Verband «Bund für Menschenrechte», zu «Menschenrechte» umbenannt. Ab 1937 wurde unter diesem Namen publiziert. Mensch warb nun hauptsächlich für die anstehende Volksabstimmung, welche männliche Homosexualität entkriminalisieren wollte. Dies geschah 1942 tatsächlich und damit war die Schweiz eines der ersten Länder in Europa, welches Homosexualität zumindest teilweise legalisierte.
Nach Annahme der Abstimmung hatte die Zeitung leider nur noch kleine Auflagen und geriet in finanzielle Nöte. 1942 wurde sie von Karl Meier übernommen und zunehmend zu einer reinen Männerzeitschrift umgebaut. Bis 1967 erschien sie unter dem Namen «Der Kreis» und wurde zu einem wichtigen Sprachrohr für die Homophilenbewegung (Emanzipationsbewegung von hauptsächlich homosexuellen Männern der 40er bis Ende 60er Jahren). Die Zeitschrift bewirkte viel und durchging massenhaft Änderungen. Besonders der Wandel zur reinen Männerzeitschrift ist bemerkenswert. Seit ihrer Wiederaufnahme 1935 gab es in der Schweiz bis heute immer queere Zeitschriften. Und wenn es 1935 nur eine war, so sind es heute deutlich mehr und unter ihnen unser Milchbüechli.