Wer kennt’s nicht: Du schaust dir einen Film an und kannst dich mit den meisten Figuren nicht wirklich identifizieren. Wenige sind queer und leben dies offen aus. Zwar gibt es immer mehr offen queere Figuren, doch oft sind sie stereotypisch und eindimensional. Meistens sind sie aber queercoded. Das heisst Figuren sind nicht explizit queer, aber bestimmte Eigenschaften können ihre Queerness andeuten.
Lange Zeit war die offene Darstellung von Queerness in Hollywood nicht erlaubt. Um der Zensur zu entgehen, musste mensch also einen Weg finden, die Queerness von bestimmten Figuren anzudeuten. So war Queer Coding für mehrere Jahrzehnte die einzige queere Repräsentation, die es gab. Später bediente mensch sich jedoch dieser Praktik, um besonders Bösewichte queer zu coden.
Das ist problematisch, denn es identifiziert bestimmte Verhaltens- und Charaktereigenschaften von Bösewichten als queer und sagt gleichzeitig, dass diese falsch und böse sind. Dass es gerade beim Horrorgenre an queerer Repräsentation nicht fehlt, verstärkt diesen Punkt. Aber auch wenn Horror Regeln und Tabus bricht und Normen hinterfragt, am Ende gruseln wir uns doch vor queercoded Figuren wie Graf Dracula (Dracula) und Freddy Kruger (Nightmare on Elm Street).
Das soll nicht heissen, Queerness ist etwas Monströses oder Böses. Im Gegenteil würde ich behaupten, dass queercoded Bösewichte und Horrorfiguren auf eine heteronormative Gesellschaft zurückgehen, die Angst vor Queerness hat. Die Figuren sind also aus einer heteronormativen Sicht queercoded und dement-sprechend auf etwas begrenzt, dass als böse und gefährlich gezeigt wird. Sprich: Queerness wird durch eine heteronormative Gesellschaft medial als etwas Monströses inszeniert, was sich auch in der eindimensionalen oder gar fehlenden Repräsentation zeigt.
Ein Beispiel dafür ist Frankensteins Monster, das 1818 im Roman «Frankenstein» von Mary Shelley erschaffen wurde. Das Monster ist eine Horrorfigur, wie sie im Buch steht, zumindest auf den ersten Blick: Aus Leichenteilen gebaut und übernatürlich stark wandert es umher auf der Suche nach Rache an seinem Schöpfer Viktor Frankenstein. Mensch kann die Geschichte aber auch anders zusammenfassen: Das Monster wird von Frankenstein wegen seiner Hässlichkeit zurückgelassen und macht sich auf die Suche nach ihm. Dabei kommt es mehrmals mit Menschen in Kontakt, die entweder fliehen oder es angreifen. Die Geschichte endet damit, dass sich das Monster an Frankenstein für seine traumatische Existenz rächt.
Was hat das genau mit Queerness zu tun? Liest mensch die Geschichte aus einer queeren Perspektive, so lassen sich Parallelen zwischen der Darstellung des Monsters und der von Queerness erkennen: Queerness wird in einer heteronormativen Welt, genau wie das Monster, als etwas Gefährliches wahrgenommen und dargestellt. Oder anders gesagt: Das Monster wird nur dann zu einem Monster, wenn es von Aussen als solches bezeichnet und behandelt wird. Das Monster verkörpert sozusagen die Queerness und macht Erfahrungen, die einige von uns aufgrund unserer Queerness auch erleben.
Hast du beispielsweise gemerkt, dass ich immer von Monster spreche und keinen Namen verwende? Das liegt daran, dass alle Figuren des Romans es ausschliesslich als abscheuliches und furchteinflössendes Monster bezeichnen und auf genau eine Eigenschaft reduzieren: sein (monströses) Äusseres. Das geht so weit, dass das Monster ständig verjagt wird – sogar mit Gewalt.
Ich wage mal zu behaupten, dass einige von uns dieses Gefühl kennen. Zeigen wir unsere Queerness und drücken sie aus, werden wir oftmals darauf reduziert. Als Resultat werden wir als Stereotypen wahrgenommen und dementsprechend behandelt. Die Stereotypisierung von Queers ist eine Strategie der heteronormativen Gesellschaft, um uns, ähnlich wie das Monster, zu entmenschlichen und auszuschliessen. Wir erleben Hass und Gewalt in Form von Homo- und Transphobie und die Debatten, die auf den Körpern von trans Menschen geführt werden, sind entwürdigend. Und genau hier sehen wir die Gemeinsamkeit zwischen dem Monster und queeren Menschen: Wir werden alle nicht als Menschen behandelt, sondern als etwas, das weniger wert zu sein scheint.
Spannend ist, dass das Monster im Roman die Möglichkeit bekommt, seine eigene Geschichte zu erzählen. Lesende bekommen dabei eine Sichtweise präsentiert, die der normativen Gesellschaft verwehrt bleibt. Es erzählt von der Ablehnung wegen seines Aussehens, von seinen gewaltvollen, traumatischen Erfahrungen und wie es gelernt hat, sich selbst und den eigenen Körper deswegen zu hassen. Was Lesende sehen, ist weniger ein Monster und mehr eine traumatisierte Person, die verzweifelt nach Gleichgesinnten sucht. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Queers die Erfahrungen des Monsters nachvollziehen können und mit ihm sympathisieren.
Trotz der erlebten Gewalt schafft es das Monster, Freundschaft mit einem blinden Mann zu schliessen, der es nicht auf sein Aussehen beschränkt. Diese Erfahrung zeigt, dass das Monster tiefgründig ist und fähig, ein Teil der Gesellschaft zu sein, wenn mensch es nur lässt und ihm zuhört.
Genau hier zeigt das Monster auf, wo queere Repräsentation in den Medien ansetzen muss: bei tiefgründigeren Figuren. Queere Figuren werden oftmals auf ihre Queerness reduziert, wenn sie diese denn überhaupt offen ausleben. Je mehr mensch über eine Figur weiss, desto einfacher ist es, mit ihr zu sympathisieren. Das hätte zwei Effekte: Zum einen würde die heteronormative Gesellschaft Queerness nicht mehr so stark stereotypisieren. Das schafft grössere Akzeptanz und wirkt Diskriminierung entgegen. Zum anderen würden junge Queers tiefgründige, queere Figuren sehen. Denn je mehr queere Jugendliche realitätsnahe, queere Repräsentationen sehen, desto mehr erkennen sie, dass es okay ist, sich selbst zu sein.
Genauso wie das Monster also durch seine eigene Geschichte tiefgründiger und menschlicher wird, genauso müssen queere Figuren tiefgründiger und menschlicher dargestellt werden. Der Schlüssel hier lautet Charakterentwicklung. Es braucht mehr (offen) queere Figuren, die keine Bösewichte sind. Wir wollen tiefgründige Hauptfiguren sehen, deren Queerness nur ein Teil ihrer Persönlichkeit ist. Denn am Ende zeigt das Monster ja genau das: Wir sind keine Monster, wir werden aber von Aussen zu solchen gemacht. Und das gilt es zu beenden.