Aktivismus ist anstrengend. Vor allem, weil er nie zu Ende ist – mensch könnte unendlich viel Zeit und Energie investieren und die wichtigen Themen gehen nicht nur einzeln nie zu Ende, sondern es gibt auch noch unzählige davon. Gerade weil die Anliegen so wichtig sind, kann es sehr schwierig sein, abzuschalten und sich ohne schlechtes Gewissen die Pausen zu nehmen, die mensch braucht. Und doch: Genau diese Erholung ist zentral, damit mensch nicht ausbrennt und sich nicht nur in einigen Monaten, sondern auch in ein paar Jahren noch einsetzen kann. Weil das viel einfacher gesagt als getan ist, hier einige Tipps, welche mir dabei helfen, meinen Aktivismus nachhaltiger zu gestalten:
Du bist nicht alleine
Ja, es braucht dich um die Welt besser zu machen und du kannst einen Beitrag leisten. Aber: Es liegt nicht die ganze Verantwortung bei dir. Du bist nicht alleine, sondern hast ganz viele tolle Mitaktivist*innen, die sich ebenfalls einsetzen. Es hängt nicht alles von dir ab und du musst auch nicht alles selbst machen. Gib etwas ab, wenn es dir zu viel wird und gebt aufeinander Acht. Wenn jemensch Verständnis für die Herausforderungen hat, die Aktivismus mit sich bringt, dann andere Aktivist*innen.
Pausen
Nimm dir die Auszeiten, die du brauchst. Das kann heissen, mal eine Sitzung zu verpassen, wenn du in den Ferien bist, in einer stressigen Phase weniger Aufgaben zu übernehmen oder dich nicht überall zu engagieren, wo mensch dich anfragt oder brauchen könnte (auch dein Tag hat nur 24 Stunden und die können und sollen nicht alle mit Aktivismus verbracht werden). Mir hilft es zum Beispiel sehr, meine Mails und Nachrichten nur dann zu checken, wenn ich Kapazität habe, diese zu bearbeiten. Wenn ich weiss, dass ich sowieso keine Antworten schreiben oder Aufgaben erledigen kann, muss ich auch nicht wissen, ob etwas Neues gekommen ist. Sonst kann ich gedanklich sowieso nicht mehr abschalten. Falls dir das noch schwerfällt, kannst du im Voraus auch kurz informieren, dass du in den nächsten Tagen nicht erreichbar sein wirst, dann erwartet auch niemensch sofort eine Antwort.
Sei nachsichtig mit dir selbst
Niemensch ist perfekt und niemensch betreibt perfekten Aktivismus. Wir alle haben Momente, in denen wir uns nicht auf lange Diskussionen einlassen mögen oder uns nicht als queer exponieren möchten. Ja, eigentlich möchte ich keinen noch so beiläufigen sexistischen oder queerfeindlichen Kommentar dulden und finde extrem wichtig, dass solche angesprochen werden. Und trotzdem reicht meine Energie manchmal einfach nicht, um jede*n zu konfrontieren. Selbst wenn ich mir in der Situation keine Sorgen um meine (physische) Sicherheit mache, ist es auch wichtig, nicht 24/7 aufmerksam und aktivistisch sein zu müssen. Denn wenn ich etwas sage, möchte ich auch in der Lage sein, die Diskussion zu Ende zu führen und sachlich zu argumentieren, damit mein Gegenüber eventuell einen Denkanstoss daraus mitnimmt. Und dafür muss ich auch die Möglichkeit haben, meine Batterien irgendwann wieder aufzuladen. Wenn ich in solchen Momenten Zweifel habe oder mich schuldig fühle, nicht mehr getan zu haben, frage ich mich jeweils, wie ich eine andere Person in der gleichen Situation beurteilen würde. Die Antwort ist eigentlich immer: sehr viel wohlwollender. Diese Haltung sollte auch für mich selbst gelten.
Gutes und unsere Community feiern
Damit mensch im Aktivismus nicht immer nur die Arbeit sieht und produktiv sein muss, ist es extrem wichtig, Gutes zu feiern. Ob politische Fortschritte, die Pride, ein spannender Milchbüechli-Artikel, eine besonders coole Dragshow am lila. – es gibt so viele Gründe für Queer Joy. Ich persönlich verbringe auch einfach wahnsinnig gerne Zeit in der Community, gerade weil sie eine Bubble sein kann, in der ich mich meist verstanden und gut aufgehoben fühle. Niemensch sollte nur in der eigenen Bubble unterwegs sein (als Aktivist*in erst recht nicht) aber es kann guttun, sich zwischenzeitlich darin zu erholen und sich daran zu erinnern, für was mensch sich eigentlich einsetzt. Für mich ist mensch aktivistisch genug, wenn mensch sich nach seinen Möglichkeiten einsetzt. Manchmal hat mensch viel Zeit und Kapazität und manchmal eben nicht – beides ist vollkommen legitim. Wenig ist besser als gar nichts und sich über lange Zeit für etwas einsetzen zu können, besser als nach einer sehr intensiven Phase auszubrennen. Denn wir haben noch viel zu tun und wie mensch auf Englisch so schön sagt: «It’s a marathon not a sprint» (Es ist ein Marathon, kein Sprint). Also tut was ihr könnt, aber seid auch zufrieden damit und passt gut auf euch auf. Und das sollt ihr euch zu Herzen nehmen: Ihr gehört nämlich zu den Queers, für deren Wohlbefinden ihr euch einsetzt – eures zählt also auch dazu.