«Nichts Besseres, als in der Wärme zu sitzen und dem Schnee draussen zuzuschauen.»
Du rührst in deinem Cinnamon-Spice-Mocca-Latte herum und bläst Trübsal. «Weisst du, ich wurde in meinem Leben noch nicht wirklich warm mit diesem ganzen Weihnachtskram …»
«Und ich freue mich schon seit September darauf!»
«Und nervst mich auch seit September damit.»
«Weisst du, wenn wir straight wären, würde man über uns jetzt eine Romcom drehen.»
«Der Weihnachtsmuffel und das Manic-Pixie-Dream-Girl?»
«Oh ja! Und wir würden durch irgendein Winterwunderland stapfen und uns niedlich frech mit Schneebällen bewerfen. Oder über einen hyperkommerzialisierten Weihnachtsmarkt schlendern, der dir zu laut und zu kitschig wäre, aber auf den du mir zuliebe dennoch mitgekommen wärst.»
«Und ich als Mann würde dich auf eine Tasse Kaffee mit Schuss für 15 Franken plus Depot einladen, die du dann mit beiden Händen festhalten würdest, als wäre sie zu schwer für eine allein.»
«Und beim Trinken würde ein Schäumchen Kaffee an meiner Oberlippe wie ein ulkiger Schnauzbart hängen-bleiben, den ich dann peinlich berührt wegwischte.»
«Und du würdest so knuffig aussehen in deinem dicken Wintermantel im gelben Licht der Weihnachtsmarkt-LED-Kerzen. Doch ich würde nicht schwach werden und mich weiterhin über all die weihnachtsfanatischen Statist*innen um uns herum und eigentlich auch über dich lustig machen. Ich würde ganz viel Rationalität beweisen.»
«Später würden wir mit sieben Einkaufstüten beladen noch mehr Geschenke shoppen gehen und du würdest ständig nur griesgrämig dreinschauen, bis ich peinlich sexualisierte Interaktionen mit einem Einkaufszentrum-Weihnachtsmann zum Besten geben würde und du grinsen müsstest.»
«Und an Heiligabend würden wir zusammen glitzernde Christbaumkugeln und hässliches Lametta an einen Einweg-Tannenbaum hängen und sängen den immergleichen Song in den Armen der ganzen Familie.»
Über das Café-Radio ertönt ein Kinderchor.
«Wenn wir straight wären, würden wir vielleicht sogar ein Weihnachtswunder erleben und du würdest schlussendlich doch die wahre Bedeutung von Weihnachten erkennen.»
«Und dann würde ich alles stehen und liegen lassen. Für dich und für den Christmas Spirit.»
«Die Kamera würde rauszoomen und wir zwei als Plastikfigürchen küssten uns in einer Schneekugel»
Die Tür des Cafés schwingt auf und eine Handvoll Schneeflocken wirbelt herein. Ein junges Paar tritt durch die Tür: eine genervte Frau in Anzug mit einem Starbucks-Kaffeebecher in der Hand, gefolgt von einem Mann mit zotteliger Frisur, der ihr frech eine Weihnachtsmannmütze auf den aufwändig gelockten Schopf setzt. Fast schon will die Frau wütend werden, doch sie erkennt just in dem Moment, dass sie sich glücklich schätzen kann, überhaupt einen Mann an ihrer Seite zu haben, dass ihre Griesgrämigkeit über Workload, sexistische Mitarbeiter und ständige Objektifizierung ihres makellosen Körpers völlig deplatziert ist in dieser Zeit der Liebe und sowieso nur die Stimmung runterzieht – und lächelt stattdessen. Es fängt aus heiterer Café-Decke an zu schneien und alle Besuch-er*innen fallen sich in die Arme, bevor sie zu einem Flashmob aufspringen und Mariah Carrey plötzlich aus allen Wänden trällert, was sie sich zu Weihnachten wünsche. Glückliche Kinder in Koboldskostümen mit dicken Geschenken in den Händchen ergänzen die spektakuläre Schlusspose und das Paar küsst sich inmitten des Getümmels, als würde niemand zuschauen.

«Weisst du, vielleicht verzichte ich lieber auf die wahre Bedeutung von Weihnachten.» 

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