Das Queer Sein und der Feminismus sind für mich schon immer eng miteinander verwoben. Als schwuler Mann verdanke ich der Frau, dass sie mich und meine Kunst derart inspiriert. Während mich die Männlichkeit kaum beeindruckt, schlägt mir die Weiblichkeit auf die mutigste Weise ins Gesicht. Diese Arbeit soll als Hommage an alle Frauen verstanden werden. Sowohl Frauen, denen ich im Alltag und meinem Freund*innenkreis begegne, als auch solchen aus der Popkultur, die ich bewundere. Ein Dank dafür, dass sie mich diese sehr polarisierte Welt durch eine rosarote Brille sehen lassen.
In A Portfolio of Models aus dem Jahr 1974 inszenierte die Künstlerin Martha Wilson sechs verschiedene weibliche Figuren und dokumentierte diese Performance in Form einer Fotoserie mit begleitenden Texten, die ihre Persönlichkeiten beschreiben. Diese Figuren gehen jedoch über reine Charaktere hinaus, indem sie übertriebene Stereotypen von Rollen darstellen, die Frauen in der damaligen Gesellschaft zu erfüllen hatten – die Göttin, die Lesbe, die Hausfrau, das berufstätige Fräulein, die Professionelle und die Erdmutter.
Zu einer Zeit, als der westliche Feminismus dabei war, gesellschaftliche Normen in Frage zu stellen, indem Frauen für politische und reproduktive Rechte, sexuelle Aufklärung und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz kämpften, war Wilsons Arbeit diesbezüglich sehr relevant, weil sie diese politischen Veränderungen entweder sorgfältig in die Figuren einbettete oder die damaligen Stereotypen kritisch hinterfragte. Somit konfrontierte Wilson die begrenzten Rollen, die von Frauen erwartet wurden, und betonte den fliessenden und performativen Charakter von Identität. Sowohl für sie als auch für mich ist die Identität nicht gegeben, sondern wird von uns selbst aus unserem Umfeld gewählt. Wir spielen oft unbewusst diese Rolle, bis wir sie wahr- und selbst in die Hand nehmen.
Als ich letztes Jahr auf Wilsons Werk stiess, war ich nicht nur von der Idee fasziniert, sondern auch inspiriert, es fünfzig Jahre nach der Veröffentlichung neu zu interpretieren. Als Zusammenarbeit zwischen Künstler und Fotografin haben wir die vereinigten Frauen des Westens erarbeitet, indem wir Wilsons Figuren in die heutige Zeit neu erfinden. Dabei haben wir uns aktiv die Frage gestellt, welche Rollen von Weiblichkeit heute existieren und wie sie sich seit den 70ern entwickelt haben. Die Figuren sind eine Collage verschiedener Frauen aus verschiedenen Kreisen, die durch Kostüme aus alten Stoffen und geliehenen Kleidungsstücken, durch die sorgfältige Auswahl der Schauplätze und durch die Texte zu jedem der Modelle zum Leben erweckt wurden.
Die Beschriebe sind einerseits als ironischen Kommentar zu verstehen, um weibliche Stereotypen mit Humor zu nehmen und mit ihnen aus einer queeren Perspektive zu spielen, anstatt sie abzuweisen und zu bekämpfen. Sie sind andererseits eine Kritik an die auch heute noch begrenzten Möglichkeiten, die Frauen zur Verfügung stehen. Letztlich ist dieses Werk, wie oben erwähnt, ein Dankeschön an alle Frauen, die mich inspiriert haben. Für das Milchbüechli haben wir dieses Projekt in sechs Teile gegliedert und stellen pro Ausgabe ein Modell vor.
The Feminist
Contrary to the harmonious Birth of Venus, this woman was catapulted onto this earth through the forceful waves of feminism. She is a weapon of mass destruction with the primary function of eradicating the patriarchy and uplifting womanhood. Her sexuality is a constant point of discussion, yet she doesn’t care what people think of her. She knows exactly who she is and that her kind will eventually rule the world. With her whip and strap on for pegging, she finds pleasure in getting the male species to submission and ending incel culture for good.
In the course of this war of the sexes, this feminomenon arrives on the battlefield in a suit of armor that displays her deadly seductive powers. She has reached the most powerful version of womanhood.
Die Feministin
Anders als die blumige Geburt der Venus, kam diese Frau wie ein Tsunami aus den gewaltigen Wellen des Feminismus zur Welt. Sie ist eine Waffe der Massenvernichtung, die in erster Linie dazu dient, das Patriarchat auszurotten und das Frausein zu erheben. Ihre Sexualität ist ein ständiger Diskussionspunkt, aber es ist ihr egal, was von ihr gedacht wird. Sie weiss genau, wer sie ist und dass ihre Art irgendwann die Welt beherrschen wird. Mit ihrer Peitsche und ihrem Umschnall-Dildo findet sie Freude daran, das dominierende Geschlecht zu unterwerfen und die toxische Männlichkeit ein für alle Mal zu beenden.
Im Laufe dieses Geschlechterkrieges betritt dieses Fem-omän das Schlachtfeld in einer Rüstung, die ihre tödlichen Verführungskräfte zur Schau stellt. Sie hat die mächtigste Version des Frauseins erreicht.
Kollektiv Chroma @aboutchroma
Künstlerische Leitung: Paul Grieguszies / Shelby Cummings (er / sie), 1995, @ishelbycummings
Fotografie: Eva Schneuwly (sie), 1995, @eggasch