Ich hatte nun fast vier Jahre nach meinem Coming-out als trans* das erste Mal so richtig Mühe mit der Toilettensituation. Oft sprechen wir trans* Menschen von genderneutralen Toiletten und wie wichtig diese für uns sind. Damit wir sicherer sind und uns nicht so extrem fehl am Platz fühlen. Ich hatte das Glück, dass ich bereits sehr früh, als ich mich «männlich» gekleidet habe, ein einigermassen gutes Passing hatte. Deswegen konnte ich unkompliziert überall auf die Männer* Toilette gehen und ich habe selten schlechte Erfahrungen gemacht. Nun weiss ich, dass ich nonbinär bin und meine Genderidentität komplizierter als gedacht ist. Mit dem Neuanfang an der Uni habe ich deswegen beschlossen sehr genderqueer herumzulaufen. Bis jetzt hatte ich ebenfalls das Glück, dass mich niemensch darauf negativ angesprochen hat. Ich denke, dass meine Mitstudierenden gar nicht genau wissen, was bei mir abgeht, aber sie genügend grosses Wissen über Queerness haben, dass sie mich nicht einfach gerade heraus ausfragen. Die Gebäude sind jedoch sehr gross und ich habe nur mit einem Bruchteil der Menschen engeren Kontakt, die mir tagtäglich begegnen.

Nun kam es so, dass ich an diesem Tag eher «maskuline» Klamotten getragen habe. Es waren eine dunkelblaue, eher anliegende, lange Hose, irgendein Shirt, an das ich mich gerade nicht erinnere und so wie immer hatte ich meine Haare nach hinten zusammengebunden und mit bunten Haarspangen zusätzlich fixiert. Und in diesem Zustand musste ich pissen. Dringend.

Ich war gerade im Gebäude mit den grossen Vorlesungssälen und bin auch in diesem Gebäude auf die Toilette gegangen. Und zwar bei den Frauen. Denn in diesem Gebäude gibt es, soweit mir bekannt ist, keine genderneutralen Toiletten. Juhu. Freude herrscht. Also spazierte ich dort hinein und natürlich mussten genau in dem Moment gefühlt alle anderen Menschen ebenfalls auf Klo. Es standen also drei Leute dort herum und guckten. Ich verschwand so schnell wie möglich in einer Kabine. Dort habe ich so lange gewartet, bis ich das Gefühl hatte, dass alle verschwunden waren. An diesem Tag hatte ich ausserdem meinen (bedingt vorhandenen) Bart nicht rasiert und habe deswegen nochmals mehr nach einem «Typ» ausgesehen. Es wäre womöglich einfacher gewesen, auf die Männer* Toilette zu gehen. Aber habe ich mir das vorher überlegt? Nein. DENN ICH MUSSTE PISSEN. Dabei sollte ich nicht vorher ausgiebig überlegen müssen, auf welcher Toilette ich wohl weniger Leute antreffe, nach «was ich gerade mehr aussehe», oder wo ich weniger komische Blicke oder Kommentare bekomme. Doch offensichtlich ist das meine Aufgabe als gender-queere Person. Ich muss mir, bevor ich ein körperliches Grundbedürfnis erledigen darf, gründlich überlegen, was ich an diesem Tag aushalten muss.

Also wollte ich, sobald alle draussen waren aus der Toilette, so schnell wie möglich rausgehen, damit ich keiner anderen Person mehr begegne. Nach dem Händewaschen drehte ich mich also um und genau dann kam eine Person rein und schaute, als wäre ich ein Dinosaurier mit Elfenflügeln und Gummistiefeln. Und das wäre ich in diesem Moment auch viel lieber gewesen. Okay vielleicht nicht nur in diesem Moment. Vielleicht habe ich gerade aus Versehen einen recht nicen Charakter erfunden. Tja.

Jedenfalls hatte ich den Herzinfarkt meines Lebens und habe deswegen auch noch so geschaut, als wäre ich ein Dinosaurier mit Elfenflügeln und Gummistiefeln. Das hat der Situation nun wirklich nichts Positives beigetragen. Deswegen bin ich einfach geflüchtet. Ich hatte meine Kopfhörer auf, deswegen konnte ich nicht mehr hören, falls die Person noch etwas gesagt hat. Und dafür war ich sehr dankbar. Natürlich kam auf dem Weg nach draussen noch eine zweite Person auf mich zu, die ebenfalls gesehen hat, wo ich gerade war und die ebenfalls ziemlich irritiert war. Diese Person habe ich gekonnt ignoriert und bin aus dem Gebäude gelaufen.

Was sich jedoch nun eingebrannt hat, ist das Gefühl, mit welchem ich versucht habe, mein Gesicht mit den Bartstoppeln in meinem viel zu kurzen Pullover zu verstecken und meinen Kopf wie eine Schildkröte einzuziehen. Schon so lange arbeite ich an mir und für mich, damit ich das nicht mehr mache. Oft bin ich mit meiner Identität völlig im Reinen. Ich mag mich so queer, wie ich bin. Solche anderen Momente gibt es allerdings immer noch. Zu oft. Diese Momente kann ich gar nicht kontrollieren. Es war keine bewusste Entscheidung, meinen Kopf einzuziehen und davon zu rennen. Das ist mein Instinkt, der auch dafür sorgt, dass ich mich nicht in Gefahr bringe.

Und trotzdem, es macht die meiste Zeit so unglaublich Spass queer zu sein. Ich kann die Grenzen und Vorstellungen in den Köpfen anderer Menschen sprengen und ihnen dabei zuschauen, wie ihre Weltvorstellungen auf den Kopf gestellt werden. Auch das ist eine Form von Aktivismus, der Energie braucht, aber eben auch Freude macht und bei Menschen etwas bewirken kann.

Damit ich mich als genderqueere Person wohler fühlen kann, bin ich allen Menschen dankbar, die es überhaupt nicht interessiert, wie ich rumlaufe. Danke an alle Menschen an der Uni, in der Stadt, im ÖV und überall sonst, die mich einfach beim Vorbeigehen ignorieren, die nicht nachfragen, die es nicht genauer wissen müssen und denen ich scheissegal bin. Ihr macht es mir einfacher, dass ich ich selbst sein kann.

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