Gleichberechtigung im Rechtsstaat

Denn immer noch erleben queere Menschen, besonders nicht binäre und inter Personen, systematische und rechtliche Diskriminierung sowie starke Eingriffe in ihre körperliche Unversehrtheit. Denn das dritte Geschlecht ist in der Schweiz noch nicht anerkannt, Konversionstherapien und geschlechtsverändernde Operationen an intergeschlechtlichen Babys noch nicht verboten. 

Spätestens seit den Parlamentswahlen im Herbst hörte mensch immer wieder vom Rechtsrutsch. Die SVP hat sogar einen «Kampf gegen die Genderpolitik» ausgerufen und in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Sie setzt sich aktiv gegen gendergerechte Sprache und genderneutrale Toiletten in Schulen ein. Doch vor allem schürt sie Angst und verbreitet Vorurteile gegenüber queeren Menschen, die in den Köpfen hängen bleiben. Altbundesrat Ueli Maurer sagte nach seinem Rücktritt, dass ihm das Geschlecht seines_r Nachfolger_in egal sei, solange es kein ‘Es’ wäre. 

Während einige rechtliche Bestimmungen aber langsam angepasst werden, sind es zwischenmenschliche und gesellschaftliche Veränderungen, die Queersein in der Schweiz immer mehr erschweren. Es sind Hatecrimes, Diskriminierung, Gewalttaten. Und eine Gefahr von Rechts.

Die Gesellschaft läuft auf rechtem Fusse rückwärts 

Im Mai hatte eine Sekundarschule in der Gemeinde Stäfa einen Gender-Tag geplant, den sie wegen Drohungen absagen mussten. Der Tag sollte einen offenen Austausch über gesellschaftliche Rollenbilder und Sexualität bieten. Da diese Themen im nationalen Lehrplan vorgeschrieben sind, sollte der Gender-Tag für die Schüler_innen obligatorisch sein. Dies kritisierte der SVP-Nationalrat Andreas Glarner und forderte in den sozialen Medien auf, die Schulleitung in Stäfa zu entlassen. Die Veranstalter_innen erhielten Be-schimpfungen und Drohungen. Die SVP meinte, solche Reaktionen seien eben zu erwarten, wenn die Schule Gendersterne und Transflaggen auf ihre Flyer drucke. Ähnlich war es bei der Drag Story Time im Mai, einer Drag-Queen-Lesung für Kinder in Zürich, die nur unter Polizeischutz durchgeführt werden konnte, weil zuvor rechtsextreme Gruppierungen in sozialen Medien die Veranstaltung bedroht hatten. Die Drag Story Times finden seit Jahren in Zürich statt, aber haben erst seit kurzem in rechten Kreisen Aufmerksamkeit erlangt. Im Herbst 2022 wurde schon einmal eine Lesung von der Neonazi-Vereinigung «Junge Tat» mit queerfeindlichen Parolen und Rauchfackeln gestört. 

Seit längerem spüre ich, dass der queerfeindliche Dialog in der Gesellschaft stärker wird. Und immer mehr macht es mir Sorgen.

Diskriminierung und Hate Crimes 

Die LGBTIQ-Helpline veröffentlicht jedes Jahr eine Statistik mit Meldungen zu queerfeindlichen Angriffen und Diskriminierungsfällen. 2022 gingen so viele Berichte bei der Helpline ein wie noch nie. Fast drei Hate Crimes wurden der Beratungsstelle jede Woche gemeldet, im Jahr insgesamt 134 Meldungen und die Dunkelziffer lässt sich nochmals auf das X-fache hochschätzen. Die Zahl ist somit seit der ersten Erhebung 2016 fast jedes Jahr angestiegen, in diesen sieben Jahren bereits um mehr als das Dreifache. Am stärksten betroffen sind junge trans Personen, wobei nicht binäre Menschen einen immer grösseren Teil davon ausmachen. Zwei Drittel von allen Opfern berichten, dass sie psychische Folgen davontragen. Teilweise führen diese auch zu Verhaltensänderungen und bewirken, dass sich immer mehr queere Menschen nicht mehr trauen, ihre Identität öffentlich auszuleben. Die Taten werden nur selten der Polizei angezeigt, obwohl seit dem Antidiskriminierungsgesetz auch queerfeindliche Beleidigungen strafrechtlich relevant wären. 

Wie ist das passiert? 

Wie es dazu kommen konnte, ist eine Frage, die mich beim Recherchieren nicht mehr losliess. Was auffiel: Es geht immer wieder um Kinder und absurde Dammbruchargumente, mensch begegnet Verschwörungen und rechtsextremen, nationalistischen Verbindungen, oft in Kombination. Und mensch wird die Vermutung nicht recht los, dass es dabei nicht wirklich um die grammatischen Probleme des Gendersternchens oder die propagierte ‘Anzüglichkeit’ von Kinderbuchlesungen geht. Es sind Stellvertreter-Debatten. Das traditionelle, westliche Familienmodell ist die Basis rechter Politik. Sie agiert deshalb antifeministisch, antiprogressiv, anti-LGBTIQ. Queere Menschen offenbaren, allein durch ihre Existenz, eine alternative Perspektive, eine Möglichkeit zur Veränderung festgefahrener Normen. Und sind damit ein Dorn im Auge der SVP und Konsorten. Der Geschäftsführer von Pink Cross, Roman Heggli, fasst es in einem SRF-Artikel sehr treffend zusammen: «Eigentlich geht es [der SVP] gar nicht um LGBTIQ-Personen. Es wird nun lediglich auf unserem Buckel ausgetragen, weil Geschlecht und Sexualität Themen sind, welche die Menschen beschäftigen.» 

Der Kampf geht weiter 

Der Rechtsrutsch wird queere Menschen weiterhin vor Hürden stellen und das Antidiskriminierungsgesetz von 2020 reicht auch jetzt schon nicht aus, um Homophobie wirksam einzugrenzen. Zudem schützt es nur vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, nicht aber aufgrund der Geschlechts-identität. Es braucht also zusätzliche Massnahmen: spezialisierte Schutzräume, Aufklärungsarbeit in öffentlichen Institutionen und der breiten Gesellschaft und offizielle, staatliche Datenerhebung zu Queer-feindlichkeit. Der Bundesrat hat nun Initiative ergriffen und verabschiedete einen nationalen Aktionsplan gegen LGBTIQ-feindliche Hatecrimes. Solche Schritte sind extrem wichtig, aber die Gründe dafür machen Angst. Trotz allem, oder vielleicht gerade deswegen, dürfen wir uns nicht davon einschüchtern lassen. Wenn unsere Existenz als politische Streitfrage missbraucht wird, unsere Rechte nur Jonglierbälle des Rechtspopulismus sind, dann ist unsere Präsenz und unsere Queer Joy ein Akt politischer Rebellion. Ein essenzieller Akt, der leider mit immer mehr Gefahren verbunden ist. Was hilft, ist das feste Vertrauen, dass wir uns gegenseitig beschützen und an die Hand nehmen. Also umarmt eure Freund_innen, unterstützt queere Vereine, und vor allem, passt aufeinander auf. Wir sind erst sicher, wenn niemensch von uns mehr Angst haben muss, öffentlich sich selbst zu sein. Hebed Sorg. 

 

Die LGBTIQ-Helpline ist eine Beratungsstelle von queeren Menschen für queere oder questioning Personen. Wenn du Fragen zu queerem Leben hast, kannst du sie unter der Woche jeweils von 19-21 Uhr telefonisch (0800 133 133) oder über Online-Chat erreichen. Alle Gespräche sind vertraulich und werden nicht weitergegeben. Wenn du einen Diskriminierungsvorfall (mit)erlebst, melde es unbedingt der Helpline, sie werden dich unterstützen. 

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