Kommentar der Redaktion: Dieser Text handelt von Lauras persönlicher Auseinandersetzung mit Gott. Uns ist wichtig zu erwähnen, dass alle Menschen verschiedene Beziehung zu Religion und Götter haben und auch haben dürfen. Wir möchten, dass auch die Auseinandersetzung von Laura akzeptiert und konstruktiv behandelt wird.
Als ich geboren wurde, war Gott abwesend. Ausser Haus. Zigaretten holen. Viele Jahre später fragte ich meine Mutter, wieso sie und mein Vater mir keinen biblischen Namen gegeben haben, wie sie es bei meiner älteren Schwester getan hatten. Sie sagte, sie habe es damals nicht übers Herz gebracht, da sie an ihrem Glauben gezweifelt habe. Als Schuldigen dafür nannte sie den Teufel, der durch meinen Vater, einem atheistischen Astrophysiker, der Computer baute, versucht habe, sie von Gott zu trennen.
Damals wusste ich nicht, was es hiess, ungetauft zu sein und auch nicht, dass es deshalb schlecht um meine Seele stand. Trotzdem verbrachte ich meine Kindheitsjahre damit, mich vor einer vagen, göttlichen Rache zu fürchten. Davor, dass ich für meine Unzulänglichkeiten entdeckt und verurteilt werden würde.
Dreizehn Jahre lang rüttelte ich am Schloss vom Himmelstor im Versuch, etwas auszugleichen, von dem ich dachte, dass es mir fehlte. Dabei fehlte es mir am Glauben, dass sich die Tür für mich öffnen würde.
Manchmal frage ich mich, ob sich etwas bei mir eingeschlichen habe, als Gott nicht hinsah. Vielleicht war es ein kleiner Teufel, der unter meiner rechten Schulter sitzt, sich an meinem Herzen erwärmt und ausreichend glaubhafte Lügen in mein Ohr flüstert. Oder aber, wenn mensch einen genaueren Blick auf meine Seele werfen würde, dann sähe mensch, dass etwas fehlt. Eine Lücke, da, wo der Heilige Geist sitzen sollte.
Ich begriff, dass sich diese Lücke nie schliessen würde. Denn, das war nicht möglich, in Gegenwart eines Gottes, von dem alle sagten, er liebe mich. Aber nur unter gewissen Bedingungen. Ein Gott der, wie viele damals meinten, mich gar nicht lieben konnte, weil ich selbst falsch liebte. Ein Gott, der in meinen Kopf und Körper sah, der wusste, wann ich gelogen hatte, wann ich wütend wurde. Er wusste, dass ich die Schokolade aus dem Schrank gestohlen hatte. Er wusste, dass ich meinem Vater gesagt hatte, es sei alles in Ordnung, obwohl ich mich noch am Schmerz festhielt, bis wir uns wieder streiten konnten. Er sah meine verstohlenen Blicke zum Mädchen in der vordersten Reihe der Klasse. Er spürte das Beben in meiner Brust, wenn sie sprach. Und er wusste, wohin meine Hände wanderten, wenn niemand zuhause war.
Wenn ich betete, musste ich mich immer erst dafür entschuldigen, dass ich so lange nicht gebetet hatte. Und fragte, ob er die Bauchkrämpfe morgens vor der Schule aufhalten könnte und ob ich etwas falsch gemacht hätte und versprach, dass ich ab jetzt nie wieder lügen würde. Die Hände werden kälter und rauer, je länger mensch an einem unmöglichen Tor rüttelt. Desto kälter und rauer und müder der Körper, das Herz und die Seele.
Ich habe nun andere Gottheiten. Ich nenne sie Wut, Hoffnung und Aphrodite. Ich unterhalte mich mit Brigid, Göttin der Poesie, des Handwerks und der Weissagungen über meine Texte. Ich frage den Wind, ob er den Regen aufhalten könne, bis ich zuhause bin. Ich nehme mich selbst in eine Umarmung auf und schwöre, dass ich mir beistehen werde, ob ich nun gerade gut bin oder nicht.
Ich glaube, manchmal blickt meine Mutter in meine Richtung, jetzt, da sie sich von ihren Zweifeln erholt hat, und hofft, dass auch ich meinen Weg zurück finde. Sie blickt in meine Richtung und seufzt und bangt um meine Seele, die sie vor so vielen Jahren schon den Dämonen zum Frass aussetzte. Sie fragt sich, was mit mir nicht stimmt. Wieso mein Körper sich gegen meinen Kopf stellt. Wieso ich lieber schreiben würde, statt zu arbeiten.
Immer wieder nähert sich Gott mir an. Immer wieder will er sich in meinen Kopf drängen, meinen Körper so spüren, wie ich ihn spüre, will meinen Blicken folgen und sagen: «HA! Erwischt!». Er will wissen, was ich über ihn denke, will mich umstimmen, will mich wieder vors Himmelstor stellen, mir einen Schlüsselbund mit tausend Schlüsseln in die Hand drücken und sagen: «Viel Glück. Ich warte auf dich.» Noch habe ich es nicht geschafft, weder Gott noch den Teufel unter meiner rechten Schulter zu ersticken, wenn sie mich übermannen wollen. Es sind Muskeln, die ich zu trainieren vergesse, wenn das Leben zu schön ist. Oder wenn ich glaube, der kleine Teufel könnte recht haben. Dann bitte ich mich selbst um Hilfe. Ich setze mich neben mich hin. Manchmal reden wir, manchmal schweigen wir. Aber mich gibt es und ich bin da. Alles andere steht zur Debatte.