Auf diesen Tag haben wir uns alle besonders gefreut. Es ist ein regnerischer, kalter Dezembermorgen, trotzdem herrscht bereits beim Check-in eine gute Stimmung. Die Tickets sind schon seit mehreren Wochen ausverkauft. Wer das Ticket gescannt hat, erhält einen Badge, beschreibt diesen mit Namen und Pronomen und geht weiter in den zweiten Stock. Seit morgens um 9.00Uhr gibt es dort, im Dynamo in Zürich, leckere Gipfeli und Kaffee.
Bis es richtig los geht, gibt es bereits einiges zu tun. Es gibt einen Photobooth (die Fotos sind auf der Milchjugend Website zu sehen), an einem Infostand erhält mensch Informationen über die verschiedenen Welten und das Beste ist: Mensch trifft bereits bekannte Gesichter und hat Gelegenheit neue kennenzulernen.
Der offizielle Start ist eine Stunde später im grossen Saal. Über 200 Queers haben sich hier versammelt und lassen sich von Nina Burkhardt, Ex-Finalistin von Princess Charming, und Sara Boy von der Geschäftsstelle der Milchjugend begrüssen.
Anschliessend folgen die Inputs. Diese dauern eine Stunde und sind eher frontal gehalten. Bereits beim Ticket Buchen musste mensch sich für eines der folgenden fünf Themen entscheiden:
- Intergeschlechtlichkeit verstehen
- Queerfeindlichkeit und Kulturkampf als Strategie der Internationalen Rechten
- Queere und feministische Politik
- Warum nehmen wir Drogen?
- The past ist queer! Die Geschichte der queeren Community
Wir haben uns für den Input zum Thema Queerfeindlichkeit entschieden. Anhand des Beispiels der Schweizer Neonazigruppe «Junge Tat», fragen wir uns warum und wie so etwas passieren konnte und lernen drei verschiedene Erklärungsvorschläge kennen.
Von queer Joy und dem Hass im Internet
Für viele ist der Programmhöhepunkt wahrscheinlich das Panel über Social Media und queeren Aktivismus mit der Neo-Nationalrätin und queerfeministischen Autorin Anna Rosenwasser und dem US-amerikanischen queer „activist“ und Influencer Matt Bernstein (bekannt durch seinen Instagramaccount @mattxiv). Moderiert wird das Panel, wie auch der ganze Anlass, von Nina Burkhardt.
Gleich zu Beginn werden die Beiden gefragt, wie ihre Arbeit auf Social Media überhaupt entstanden sei. Matt gesteht, dass er mehr per Zufall in seine Rolle geraten sei. Er habe damals begonnen, eine Art „provozierende“ queere Statements zu posten, die er selbst mit Make-up auf seinen Körper aufgemalt hatte. Daraufhin begannen seine Posts eine Art „Plattform“ für queeren Austausch zu werden, unter denen queere Menschen ihre Wut ablassen konnten. Anna hingegen sagt, sie habe auf Instagram das schaffen wollen, was ihr persönlich noch fehlte.
Neben vielen tollen Momenten erlebten sie leider auch genügend Hass. Nina fragt, wie sie, als öffentlich queere Personen, mit negativen Kommentaren, besonders auf Social Media, umgehen würden. Anna spricht darüber, wie sie versuche Hass von Kritik zu unterscheiden.
Sie versuche alle Kritik ernst zu nehmen und die Hintergründe der Personen (besonders wenn diese selbst queer sind) zu verstehen. Auch wenn dies anfangs oft schmerzhaft sei. Drohungen und Hassnachrichten hingegen bespräche sie immer mit jemenschem und würde sie gegebenenfalls sogar anzeigen. Matt hingegen schenke allen negativen Kommentaren überhaupt keine Aufmerksamkeit. Viel mehr appelliert er daran, dass alle Queers als Teil einer marginalisierten Gruppe unser eigenes „Trauma“ mit uns tragen. Es sei deshalb wichtig Strategien zu finden, um damit umzugehen, ohne dass sich die Negativität plötzlich gegeneinander entlädt.
Weiter geht es darum, was denn „Queer Joy“ für die Beiden bedeute, und wie wir uns als Community stärken können. Anna findet Queer Joy darin, rausgehen zu können und queer zu sein. In queeren Safespaces queere Dinge tun zu können. Matt spricht darüber, dass es ein Privileg sei, bei jeder Art von Negativität wegschauen zu können. Und, dass wir deshalb umso besser zu uns und unserem Umfeld schauen sollen. Es sei wichtig, dass wir nicht trotz, sondern auf Grund unserer Queerness glücklich seien. Denn schliesslich sei „Being queer and happy“ bereits ein „rebellious act“ (ein rebellisches Zeichen).
Zu Ende kann auch das Publikum noch Fragen an das Panel richten. Jemensch fragt, wie mensch mit „unwissenden“ oder auch unbeabsichtigt abwertenden Äusserungen, besonders aus dem familiären Umfeld (das Panel fand kurz vor Weihnachten statt und da sind viele Queers leider vermehrt mit solchen Kommentaren konfrontiert…) am besten umgehen kann. Denn auch das „Sich-andauernd-erklären-müssen“ ist auf Dauer sehr anstrengend. Anna gibt zu, dass auch sie immer erst den Drang verspüre, sich für alles so lange erklären zu wollen, bis es denn auch wirklich verstanden würde. Sie macht aber auch klar, dass, entgegen dem ersten Impuls, wir niemenschem gegenüber die Verpflichtung haben, uns erklären zu müssen. Denn schliesslich sei es die Entscheidung jedes einzelnen Menschen, sich nicht über queere Themen und Menschen zu informieren.
Nach dem Panel ist es Zeit für die leckere, vegane Mittagspause. Ebenfalls gibt es jetzt die Möglichkeit, sich mit den drei Protagonist_innen auszutauschen, Fotos zu machen, oder sich auch einfach nur für ihre Arbeit zu bedanken. Sie nehmen sich Zeit, mit allen, die wollen, zumindest ein paar Worte zu wechseln.
«drink. share or Cher»
Die Austauschrunden dauern zwei Stunden und finden am Nachmittag statt. Diese sind interaktiv und so gestaltet, dass wir uns untereinander austauschen können. Auch hier melden wir uns im Voraus für eines der folgenden Themen an:
- Liebe, Lust, Lesben … und mehr!
- How to Schwul – Gesundheit, Gesellschaft und Community
- Successfully Intersectional – Activism for Everyone
- queer and sober
- Queer und Behindert und/oder chronisch krank
- Transfem Joy Space
Wir wählen queer and sober und tauschen uns beim Spiel «drink, share or Cher» humorvoll und trotzdem auch tiefgehend untereinander aus.
Zum Schluss treffen wir uns nochmals im grossen Saal zu einem kurzen, offiziellen Abschied. Die Bar ist nun noch offen bis 22Uhr, mensch kann sich weiterhin untereinander austauschen oder langsam auf den Heimweg machen.
In Gedanken bleibt eine Aussage von Matt welche uns auch weiterhin begleitet:
«We are happy not despite, but because of our Queerness! As being queer and happy is a rebellious act! »
Wir sind glücklich nicht trotz, sondern aufgrund unserer Queerness! Weil queer und glücklich zu sein ist ein Akt der Rebellion!