Ursprünge eines Narrativs
«Born This Way» war in der LGBTQ-Bewegung schon lange vor Lady Gaga bekannt. Der Spruch stammt ursprünglich von einem der ersten gay anthems: Dem Lied “I Was Born This Way”, welches zuerst 1975 vom Sänger Valentino und zwei Jahre später vom AIDS-Aktivisten und Gospel-Sänger Carl Bean veröffentlicht wurde. Der Song wollte Homosexualität gesellschaftlich normalisieren und betonen, dass es nicht etwa ein Problem darstellt, das Menschen bekämpfen müssten, sondern einfach eine angeborene Eigenschaft ist, mit der es sich ganz normal leben lässt. Er vertrat die Message, dass es keinen Grund gäbe, sich ändern zu müssen.
Jahrzehnte später war Lady Gaga inspiriert von Carl Beans Version des Songs und schrieb ihren eigenen Hit mit dem Titel «Born This Way», der uns allen seither nicht mehr aus dem Kopf und den Pride-Playlists gehen will. Gaga vergleicht ihre Begegnung mit dem Song mit einer Predigt. «Born This Way» scheint für sie die Antwort auf all ihre Fragen zu sein.
Und der Slogan hatte seine Zeit, sicherlich als ersten Schritt. In einer Zeit, wo Homosexualität noch grösstenteils als ‘Fehler’ verstanden wurde, war es schon eine Herausforderung, der Gesellschaft beizubringen, dass nichts oder niemensch daran schuld ist.
Der Jurist Shannon Minter meint, der Glaube daran, dass mensch homosexuell geboren wird, war in den USA absolut notwendig, um rechtlichen Schutz für Homosexuelle zu erreichen. Er hält es gerade im heutigen politischen Klima für wichtig, an diesem gesellschaftlichen Fortschritt festzuhalten.
Klar ist: So ein Konstrukt hilft. Es hilft, sich als Gruppe zusammenzuschliessen und Einigkeit und Gleichheit vereinfachen politische Forderungen. Aber sobald das Narrativ etabliert wird, dass alle queeren Menschen mit ihrer Geschlechtsidentität und sexuellen oder romantischen Orientierung geboren werden, öffnet sich ein grösseres Fass an Problemen.
Von Schutzschildern …
Einfach so geboren zu sein, kann befreiend wirken. Es kann uns von eigenen Zweifeln lösen, uns die Illusion von Abgeschlossenheit geben und möglich-erweise auch eine Entscheidung abnehmen. Aber vor allem ist es ein Schutzschild gegen Queerfeindlichkeit. Eine Entscheidung müsste mensch vielleicht verteidigen, aber wenn Queersein angeboren ist, weckt das bei unseren Gegner*innen höchstens Mitgefühl. Die Aussage “I was born this way” ist nichts weiter als eine Schutzmauer gegen Konversionstherapien und den Gedanken, dass mensch sich gegen Queerness “wehren” oder gar dagegen entscheiden könnte.
Doch wollen wir unser Selbstbild von den Forderungen queerfeindlicher Menschen bestimmen lassen? Oder nicht lieber für uns selbst entscheiden, wie wir unsere Identität verstehen? Die Schauspielerin Cynthia Nixon zum Beispiel beschreibt ihre eigene Queerness klar als Entscheidung.
… und Schubladen
Mir ist bewusst, dass wir den «Born this Way» Gedanken oftmals sehr verinnerlicht und vielleicht auch noch nie wirklich hinterfragt haben. Menschen hängen emotional an diesem Spruch oder dem Song dazu. Er ist für viele auch ein ganz privates Schutzschild vor der Inakzeptanz der Gesellschaft und nicht ohne Grund ein beliebtes Tattoomotiv. Für die, zu denen er passt, kann er viel bewirken und sie auf dem eigenen Weg der Selbstfindung und Selbstakzeptanz enorm vorantreiben. Aber die anderen lenkt er nur in die nächste Schublade, die nicht für sie gemacht ist.
Wir fühlen uns gezwungen, der Welt eine kohärente Geschichte aufzutischen, ohne Zweifel und Umwege, angenommene und wieder abgelegte Labels; ohne Unsicherheiten. Und quetschen dabei unsere eigenen Geschichten in neue Schubladen, graben nach Anzeichen oder Aha-Momenten in unserer Kindheit, die vielleicht nie so passiert sind, oder verdrängen gewisse Erfahrungen gar komplett.
Wir reduzieren und prüfen unsere Identitäten nach einem Muster, das als Antwort auf Forderungen der Dominanzgesellschaft entstand. Als Kompromiss entgegen ihrer Akzeptanz müssen wir uns beweisen und ihnen hochheilig versprechen, dass wir unsere Sexualität und Identität nicht ändern können. Selbst wenn wir es wollten.
Fakt ist, wir erleben unser Coming-Out auf die unterschiedlichsten Arten. Unsere Erfahrungen sind divers und sollten trotzdem alle in der Community Platz haben. Manche erfahren, dass sich ihre Sexualität über ihr Leben hinweg verändert, oder nehmen erst spät ein neues Label für sich an. Manche wissen schon als kleines Kind, dass sie auf die ein oder andere Art queer sind, andere lernen es erst als Erwachsene oder im hohen Alter. Lasst uns mehr über unsere Erfahrungen und Unterschiede sprechen, über alle davon.
Fluidität
Das «Born This Way»-Narrativ privilegiert zudem wieder nur den kleinen Teil der Community, der seine Sexualität und Geschlechtsidentität als völlig konstant wahrnimmt. Doch genderfluide Menschen beispielsweise stellen diese Permanenz fundamental in Frage. Dasselbe gilt für Personen, deren Sexualität wechseln kann.
Darunter fallen Labels wie abrosexuell und abroromantisch, aber auch aceflux auf dem Spektrum der Asexualität. Auch Fluidität gehört zur Queer Community. Leider ist diese aber oft noch unterrepräsentiert und mit dem “Born This Way”-Narrativ wird zusätzlich ein künstlicher Entscheidungsdruck propagiert, der eigentlich nicht sein müsste. Auch Bisexuelle haben oft mit so einem Druck zu kämpfen und ihnen wird – auch innerhalb der Community – immer wieder vorgeworfen, ihre ‘eigentliche Homosexualität’ einfach noch nicht eingesehen zu haben. Ebenso queere Menschen, die kein spezifischeres Label für sich verwenden möchten oder können, passen nicht in dieses Narrativ. So haben viele Queers letztlich das Gefühl, nicht reinzupassen oder nicht die richtigen Erfahrungen gemacht zu haben.
Was nun?
Vielleicht war “Born This Way” für Homosexuelle in den siebziger und achtziger Jahren genau das Richtige, aber für die Queer Community heute nicht mehr ausreichend. Denn wenn mensch sagt, wir wären alle einfach so geboren, ist das eine sehr feste Zuschreibung eines einzigen Weges, mit dem wir uns bis heute selbst unterdrücken. Auf einen Glaubenssatz zu bestehen, der genauso einschränkend und vorschreibend ist wie die Cis-Hetero-Welt, sollte heute nicht mehr als Fortschritt gefeiert, sondern endlich im letzten Jahrhundert gelassen werden. Sobald «Born This Way» seinen Zweck erfüllt hatte und Homosexualität als etwas Normales in der breiteren Gesellschaft angekommen war, hätten wir die Tür öffnen können für andere, weiterführende Diskussionen. Die Queer Community sollte doch der Ort sein, der sich von gesellschaftlichen Zwängen und Definitionen löst und Raum bieten für alle möglichen Erfahrungen und Arten von Queerness. Und niemensch soll dabei das Gefühl bekommen, nicht reinzupassen. Und ausserdem ist die Idee, unsere Rechte und Würde nur darauf zu basieren, dass wir uns schlicht nicht ändern könnten, irgendwie verkehrt und vor allem schade. Wie ein Schicksal, dass dir aufgetragen wird. Zu lange haben wir jüngeren Generationen weitergegeben, dass Queerness als Teil der eigenen Identität zu erkennen, erstmal ein schwerer Schlag sein müsse. Freude an Sexualität und Identität, am Ausprobieren und Erkunden, bleibt so nur cis-hetero Menschen vorenthalten.
Deine Gefühle gegenüber anderen und gegenüber dir selbst können sich verändern und du musst nicht Angst haben, die ‘falschen Begriffe’ dafür zu gebrauchen. Denn Queerness als Begriff steht dafür, dass wir genau so richtig sind, wie wir eben sind, waren oder noch sein werden.